Studieren oder Arbeiten an einem anderen Ort, Zusammenleben mit dem oder der Partner:in: Irgendwann ziehen Kinder aus - auch wenn gefühlt erst gestern der erste Schultag war. „Das Haus ist nicht mehr so gefüllt. Wenn das Kind die einzige Erfüllung für die Eltern war, wird es schwierig", sagt Sabine von der Thannen-Hächl.
Die Gesundheitspsychologin und gelernte Kinderkrankenschwester ist seit acht Jahren im Ehe- und Familienzentrum Feldkirch in der Beratung tätig. In Bregenz betreibt sie eine eigene Psychologische Praxis für Eltern und Kind.
IM LOSLASSEN ÜBEN
Die Expertin rät Eltern, sich schon lange vor dem Auszug der Kinder mit Loslassen bewusst zu beschäftigen: „Loslassen beginnt mindestens bei der Geburt. Man muss sich immer wieder darin üben. Spielgruppe, Kindergarten, Schulbeginn ... Loslassen ist eine Elternaufgabe."
TRAUERARBEIT
Natürlich ist der Auszug der Kinder ein Anlass, traurig zu sein. Trauer sei, so die Gesundheitspsychologin, eine gesunde Reaktion auf eine veränderte Lebenssituation. Jede Trennung aktiviere alte Trennungsschmerzen. „Es hat mit der eigenen Geschichte zu tun, wenn jemand in ein tiefes Loch fällt", erklärt Sabine von der Thannen-Hächl.
WAS GUTTUT
„Schöne Erinnerungen tun gut - und man kann sich freuen, dass es mit dem Auszug der Kinder neue Freiheiten gibt: mehr Zeit für die Berufstätigkeit und für die Sorge um sich selbst", sagt die Gesundheitspsychologin. Gerade die Selbstfürsorge würde oft vernachlässigt, wenn die Kinder zu sehr im Fokus stünden. Was einem selbst wichtig ist, sollte man sich frühzeitig und immer wieder fragen.
Die Veränderung als Anlass für neue Perspektiven zu begreifen, ist hilfreich: ein neues Hobby, Zeit für ein Ehrenamt oder für alte Freundschaften. Auch das Kinderzimmer umzugestalten, kann guttun.
KONTAKT MIT DEN KINDERN
Sabine von der Thannen-Hächl empfiehlt, den Kontakt mit den ausgezogenen Kindern als Prozess zu sehen und das Thema gemeinsam zu besprechen. Ob man täglich, wöchentlich oder monatlich Kontakt hat, ist abhängig vom Kind. „Nicht die eigenen Bedürfnisse auf die Kinder überwälzen!", warnt sie. Wenn man sehr traurig ist und die Freude am Leben verliert, ist nicht das Kind der Ansprechpartner, sondern Partner:innen, Freund:innen oder eine Beratungsstelle." Für Eltern, die in einer Beziehung leben, bedeutet der Auszug der Kinder, dass wieder mehr Paarzeit vorhanden ist. „Paare haben sich manchmal ‚verloren, man hat sich im Alltag verstrickt", erzählt die Gesundheitspsychologin aus ihrer Beratungspraxis, „besser ist es, wenn nicht erst der Auszug der Kinder die Beziehung wieder mehr in den Mittelpunkt rückt."
Sie stellt fest, dass heute Frauen nicht mehr so stark auf die Mutterrolle fokussiert sind wie früher. Frauen würden frühzeitig auf die Selbstfürsorge achten und tun sich leichter, Kinder loszulassen. Für Männer sei das Thema Auszug der Kinder meist weniger relevant - außer für alleinerziehende Väter.
Sabine von der Thannen-Hächl
Text: Andrea Mayer-Edoloeyi/Kirchenblatt